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Gaming und Inklusion: Schnelles Tastendrücken heißt Game Over - Golem.de - Golem.de

Körperlich beeinträchtigte Menschen haben es nicht leicht in Games. Dabei wäre es möglich, Videospiele inklusiver zu machen. Das erkennt langsam auch die Industrie.

Ein Bericht von Denis Gießler/Zeit online
Spieler testen auf einer Games-Messe Steuergeräte für Menschen mit Behinderung.
Spieler testen auf einer Games-Messe Steuergeräte für Menschen mit Behinderung. (Bild: Stephane de Sakutin / AFP via Getty Images)

Melanie Eilert hat gerade den Bogen im Action-Adventure Tomb Raider gefunden, als es schon nicht weitergeht. Um ihn zu spannen, müsste Eilert auf dem Controller drei verschiedene Knöpfe drücken: Zielen, die Kamera ausrichten und Schießen. Für viele Spielerinnen und Spieler ist das kein Problem. Doch Eilert kann die Knöpfe nicht gleichzeitig drücken, für sie ist das Abenteuer von Lara Croft schon am Anfang zu Ende.

Eilert ist begeisterte Gamerin, bloggt über Videospiele und stößt immer wieder auf solche digitalen Barrieren. Als Kind wurde bei ihr Spinale Muskelatrophie diagnostiziert. Bei dieser Krankheit haben die Muskeln wenig Kraft und werden mit der Zeit immer schwächer. Deshalb kann die 33-Jährige ihre linke Hand nicht mehr bewegen. Lediglich die rechte bleibt ihr fürs Steuern, doch auch sie ist eingeschränkt. Den Xbox- oder PlayStation-Controller, den man mit beiden Händen hält, kann Eilert deshalb nicht nutzen.

So wie Eilert geht es vielen Gamerinnen und Gamern in Deutschland. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov im Frühjahr zählen sich rund 7,6 Millionen Spielerinnen und Spieler in Deutschland zu Menschen mit Behinderung. Bei der repräsentativen Umfrage konnten sich alle Befragten über 16 Jahren verschiedenen Schweregraden zuordnen, etwa Gehörlosigkeit oder Blindheit. Laut Interessenverband Game bezeichneten sich 2020 in Deutschland 34,3 Millionen Menschen als Gamer. Hochgerechnet wären also rund 21 Prozent der Spielerinnen und Spieler in irgendeiner Form körperlich beeinträchtigt. Lange Zeit wurde diese Gruppe von Spielentwicklern ignoriert.

Wer in den Achtzigerjahren Games barrierefrei erkunden wollte, griff meist auf den PC zurück, für den sich Bastler eigene Controller und Anschlüsse zusammenlöteten und ihre Tipps und Tricks untereinander austauschten. Bei den Konsolen war es um Barrierefreiheit noch schlechter bestellt. Zwar entwickelte Nintendo für sein Entertainment System einen speziellen Controller für querschnittsgelähmte Menschen. Der wurde aber nur im hauseigenen Nintendo-Store für 179,99 US-Dollar und in kleiner Stückzahl angeboten.

Spielen mit dem Mund

Erst mit den neueren Konsolen kamen zahlreiche Features hinzu, um körperlich eingeschränkte Menschen besser zu unterstützen. "Die Branche hat seit 2016 enorme Fortschritte gemacht", sagt der Accessibility-Experte Ian Hamilton, der Entwicklerinnen und Entwickler beim Thema Barrierefreiheit berät. In der Vergangenheit hätten Entwickler körperlich eingeschränkte Menschen schlicht vergessen. Inzwischen seien sie viel stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Tatsächlich zeigt eine Analyse der 50 größten Videospiele von 2020: Anders als noch zu Beginn der Nullerjahre bieten viele Titel zumindest grundlegende Funktionen der Barrierefreiheit an. Dazu gehören einstellbare Untertitel für gehörlose Menschen. Einen Kontrast- und Helligkeitsregler, der das Bild auch für seheingeschränkte Spieler zugänglich macht, sowie die Option, sich Menüs vorlesen oder das Bild vergrößern zu lassen. Und die Neubelegung von Tasten, um Menschen die Steuerung zu ermöglichen, die nicht alle zehn Finger zur Verfügung haben.

Dieses sogenannte Button Remapping ist auch für Melanie Eilert wichtig, um die linken Schultertasten eines Gamepads zu ersetzen. Zur Unterstützung nutzt sie den Xbox Adaptive Controller, den Microsoft inzwischen offiziell für Spielerinnen mit eingeschränkter Mobilität anbietet. Er dient als zentrale Schnittstelle, an die sich externe Tasten anschließen lassen, aber auch spezielle Geräte wie der via Crowdfunding finanzierte Quadstick, eine Art Joystick, den man mit dem Mund steuert. Mit ihm können sich Spieler durch das Ansaugen oder Pusten von Luft durch die Spielwelt bewegen, ganz ohne Hände. Der seit einem Unfall querschnittsgelähmte Dennis Wilkens kann mithilfe des Quadsticks sogar Ego-Shooter spielen, die eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit erfordern.

Allerdings sind diese Erweiterungen teuer. Der Quadstick kostet umgerechnet knapp 470 Euro. "Der Xbox Adaptive Controller ist vergleichsweise günstig, die einzelnen Taster kosten im Handel aber mindestens 50 Euro, von denen ich drei oder vier brauche", sagt Melanie Eilert. Rund 300 Euro kostet somit die Controller-Alternative mit vier Erweiterungen. Bevor Eilert ein Spiel kauft, informiert sie sich vorher auf gemeinnützigen Plattformen wie Ablegamers oder Can I Play That, die Spiele auf ihre Barrierefreiheit untersuchen. Viele Entwickler posten zudem inzwischen bereits vor dem Erscheinungstag, wie barrierefrei das kommende Spiel ist. So können Enttäuschungen vermieden werden.

Eingabegeräte wie der Xbox Adaptive Controller helfen körperlich eingeschränkten Spielerinnen und Spielern, ihr Hobby zurückzuerobern. Doch müsse man Barrierefreiheit von Anfang an auch im Spieldesign berücksichtigen, sagt Accessibility-Experte Hamilton. Ein Problem seien unter anderem sogenannte Quick-Time-Events: Dabei müssen die Spielenden in wenigen Sekunden eine bestimmte Taste drücken oder schnell auf eine Taste hämmern - für körperlich eingeschränkte Menschen ist diese Aufgabe fast schon ein Endgegner.

Das Action-Adventure Spider-Man: Miles Morales bietet deshalb die Funktion, diese Szenen entweder zu deaktivieren oder die Tasten für den Controller neu zu belegen. Und für den Ego-Shooter Metro Exodus wurde ein Update nachgereicht, um den ''Tinnitus-Sound'', der nach Explosionen im Game aufgetreten ist, auszuknipsen.

Für inklusives Spieldesign entscheidend ist die Zusammenarbeit zwischen eingeschränkten Personen und Entwicklern. Ein gutes Beispiel ist das amerikanische Studio Naughty Dog. Es veröffentlichte 2019 das Action-Adventure The Last of Us 2, das mit mehr als 60 Einstellungsmöglichkeiten einen neuen Rekord an Barrierefreiheit in Games setzte. So können sogar blinde Menschen das Spiel durchspielen, indem sie mit Audioanweisungen durch die Levels geleitet werden und Kletterpassagen entfallen. Die Entwickler setzten sich mit körperlich beeinträchtigten Spielern zusammen und entwickelten die barrierefreien Features. Das rechnet sich für das Studio nicht nur durch positive Berichterstattung, sondern auch über die potenziell höheren Verkaufszahlen durch eine größere Zielgruppe.

Doch nicht alle Studios können sich derart viele Optionen für Barrierefreiheit leisten. Umso wichtiger sei es, barrierefreie Features möglichst von Anfang an mitzudenken, damit sie nicht zu teuer oder wegen einer knappen Deadline weggelassen würden, sagt Dominik Abé. Er ist Mitgründer des deutschen Entwicklerstudios Mimimi Games mit 30 Mitarbeitern. Das Studio einigte sich auf grundlegende Funktionen der Barrierefreiheit: Im preisgekrönten Taktikspiel Desperados 3 gibt es etwa einen Modus für die Rot-Grün-Sehschwäche. Zusätzlich können die Tasten für den Controller oder die Tastatur neu belegt werden.

Barrierefreiheit will geplant sein

"Bei unseren ersten Spielen hatten wir das Thema Barrierefreiheit noch nicht präsent, doch es ändert sich etwas in der Industrie. Die Studios lernen voneinander", sagt Abé. So hätte es vor zehn Jahren kaum Anleitungen im Netz gegeben, wie man einen Modus für Farbenblindheit einbaut. In der Unity-Engine, also der Entwicklungsumgebung, finden sich nun kostenlose Anleitungen und Erweiterungen für Entwickler.

Manche barrierefreien Funktionen sind leichter einzubauen als andere. So bereiteten ausgerechnet die vermeintlich einfachen Untertitel Probleme. "Wir wollten sie in verschiedenen Größen darstellen, doch wir hatten schon so viel Arbeitsspeicher verbraucht, dass wir uns höher aufgelöste Schriften nicht mehr leisten konnten", sagt Abé. Für das kommende Spiel sollen sie aber anpassbar sein.

Ian Hamilton ist zuversichtlich, dass barrierefreie Features in Spielen in den kommenden Monaten ein steiles Wachstum hinlegen werden. "Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem die Spiele alle Grundlagen beherrschen", sagt er. So seien Untertitel noch oft zu klein und ohne Kontrast zum Hintergrund. Aber Titel wie The Last of Us 2 würden zeigen, wie es gehen kann. Auch Melanie Eilert hofft, dass sich die Barrierefreiheit in Games weiter verbessert. "Die Studios befinden sich schon fast in einer Art Wettstreit, wer den nächsten für Barrierefreiheit gefeierten Titel produziert", sagt sie. "Und das ist gut, denn davon profitieren alle."

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