»Hazel Brugger: Tropical«, Netflix
Zeitbudget: 58 Minuten
für Fans von: Felix Lobrecht
Hazel Brugger ist eine Zwicktante. So eine, die sich augenscheinlich arglos zu einem herunterbeugt, um einen dann ein bisschen zu fest in die Wange zu kneifen, wenn grade keiner herschaut. In »Tropical«, ihrem aktuellen Soloprogramm, das Corona-bedingt in diesem Jahr nicht viel Bühnenzeit bekam, neigt sich die Schweizerin auch körperlich ihrem Publikum oft entgegen, schlendert langsam und harmlos in ihre zuerst ganz alltäglichen Geschichten – und lässt sie dann ins Fiese, auch mal Grobe kippen. Sie channelt die Kinder-Aussetzfantasien alleinerziehender Mütter und erläutert, warum geliehene Tiere perfekte Ersatzgäste für kapriziöse Spaßmacher-Kolleginnen sind, die nicht in ihre Sendung kommen wollten: »Denn das Gute ist: Tiere haben mega wenig Rechte.«
Systemkritik, disclaimert sie gleich am Anfang, sei von ihr nicht zu erwarten, denn die könne man sich ja ohne viel Aufwand zu Hause selbst machen, man müsse dazu nur Zeitung lesen. Am stärksten ist Brugger auch in diesem Programm, wenn sie unspektakuläre Situationen mit bedächtigem Vergnügen ins Absurde abdriften lässt. Die Erinnerung an ihre kaum zu unterdrückende Versuchung, ihrem greisen Gynäkologen während der Untersuchung begütigend über den Kopf streicheln, wird einen zumindest ganz sicher noch in denkbar unpassenden Momenten heimsuchen. Anja Rützel
»Sound of Metal«, Amazon Prime Video
Zeitbudget: 130 Minuten
für Fans von: »Walk The Line«, »Verstehen Sie die Béliers?«
Manchmal sind es die Augen eines Schauspielers, die einen Film retten. Der 38-jährige Brite Riz Ahmed ist in praktisch jeder Szene von »Sound of Metal« zu sehen, und allein mit seinen intensiven Blicken bringt er das zum Ausdruck, was im Inneren seiner Figur vorgeht: Panik, Anspannung, Verunsicherung, Trauer. Über weite Strecken muss Ahmed ohne Sprache auskommen, denn er spielt einen Ex-Junkie und Schlagzeuger, der sein Gehör verliert. Ruben bildet mit seiner Freundin Lou (Olivia Cooke) ein Hardcore-Duo: Wie ein Berserker drischt er auf der Bühne auf sein Drumset ein, während Lou zu ultimativ verzerrten Gitarrenriffs röchelt und röhrt. Sie reisen mit einem riesigen Wohnmobil durch die USA und leben die große Freiheit. Bis Ruben plötzlich lautes Piepsen im Ohr hat und Stimmen nur noch hört, als stammten sie von einer alten Tonbandaufnahme.
Nach einer Panikattacke auf der Bühne soll Ruben sich in einer Wohngemeinschaft für Gehörlose erholen und mit seiner neuen Lebenssituation arrangieren. Aber er will sein altes Leben zurück. Nicht alles gelingt dem Filmemacher und Autor Darius Marder in seinem Debüt, stellenweise wirken seine Drehbuchwendungen zu forciert. Aber stilistisch ist »Sound of Metal« mutig und inspiriert – selten entfaltet eine Tonspur so große emotionale Kraft. Vor allem aber ist dieses Drama eine Meditation darüber, wie Menschen sich Situationen stellen, die sie sich nicht ausgesucht haben. Und welches Glück darin liegen kann, drastische und unvorhergesehene Veränderungen anzunehmen. Kommt uns das gerade irgendwie bekannt vor? Oliver Kaever
»Gösta«, ARD Mediathek
Zeitbudget: zwölf Folgen à 30 Minuten
für Fans von: »Idioten« und »Zusammen!«
Als eine rumänische Bettlerin vor dem Supermarkt die Hand für ein paar Münzen aufhält, schenkt er ihr mitfühlend den gesamten Einkauf. Als sich ein paar Rüpel sein Fahrrad krallen, überlässt er es ihnen lächelnd und macht sich darüber Gedanken, was die Jungs wohl Traumatisches durchlebt haben. Gösta glaubt an das Gute im Menschen – aber das Gute glaubt irgendwie nicht an ihn. Er gibt nur, bekommt aber nie. In zwölf Folgen begleiten wir den Jugendpsychologen mit dem Mitleidsblick (welpenweich: Vilhelm Blomgren) dabei, wie er sich um die halbe Welt kümmert und dabei sich selbst zu verlieren droht.
Ausgedacht hat sich das der Schwede Lukas Moodysson, der vor 20 Jahren mit seiner grandiosen Kommunen-Komödie »Zusammen!« bekannt geworden ist. Auch in »Gösta« geht es grob um die Frage: Wie viel Mensch erträgt der Mensch? Bei Gösta, der bald sein ganzes Haus mit hilfsbedürftigen Gestalten voll hat, ist die Toleranz hoch: Die ganze Welt stöhnt, aber Gösta bleibt, komme was da wolle, für jedes Zeichen von Leid auf Empfang gestellt. Die Comedy-Serie als Hymne auf einen Hardcore-Humanisten – sanft im Angang, böse im Abgang. Christian Buß (am 5. Dezember um 20.15 Uhr komplett auf ARD One, ab 6. Dezember in der ARD Mediathek)
»Spy City«, Magenta TV
Zeitbudget: sechs Episoden à 45 Minuten
für Fans von: »Finale in Berlin«, »Das Leben der Anderen«
Am Schicksal Berlins ließ sich seit Gründung der Bundesrepublik zuverlässig die politische Großwetterlage Westeuropas ablesen. Die spiegelten auch viele Berlin-Filme, besonders natürlich in den Jahrzehnten der geteilten Stadt: von Trümmer-Krimis wie Jacques Tourneurs »Berlin Express« über klassische Spionage-Thriller wie »Finale in Berlin« mit Michael Caine bis zum Stasi-Melodram »Das Leben der Anderen.« Vielleicht liegt es daran, dass sich die Idee zu »Spy City« auf dem Papier gut liest, auf dem Bildschirm aber blutleer bleibt: Es gibt aus jeder Epoche Vorbilder, die im Zweifel näher am jeweiligen Zeitgeist und stilistisch aufregender sind.
Der Sechsteiler spielt Anfang der Sechzigerjahre, kurz vor dem Mauerbau. Ein britischer Agent (Dominic Cooper) sucht nach einem Maulwurf in den eigenen Reihen, während um ihn herum ungeklärte Morde geschehen und sich entlang der Grenze zum sowjetischen Sektor merkwürdige Dinge tun. Die viel zu cleanen Bilder (gedreht wurde in Prag) helfen nicht gerade, diese altmodische Agentengeschichte zum Leben zu erwecken. Aber immerhin, wer dran bleibt, wird immer wieder von einem wendungsreichen Thriller überrascht, der eines doch schafft: ein Gefühl für die Absurdität und Unmenschlichkeit zu wecken, die es bedeutete, als der Eiserne Vorhang mitten in der deutsch-deutschen Hauptstadt errichtet wurde. Oliver Kaever
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