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Ohne Google, Android oder Amazon: Der Open-Source-Großangriff - Golem.de - Golem.de

Smarte Geräte sollen auch ohne die Cloud von Google oder Amazon funktionieren. Huawei hat mit Oniro dafür ein ausgefeiltes Open-Source-Projekt gestartet.

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Das Oniro-Projekt soll einen Alternative für smarte Geräte ohne Cloud von Google oder Amazon werden.
Das Oniro-Projekt soll einen Alternative für smarte Geräte ohne Cloud von Google oder Amazon werden. (Bild: Oniro)

Das US-Embargo gegen Huawei hat den Konzern vor rund zwei Jahren massiv unter Druck gesetzt. Die schnelle Reaktion mit dem eigenen Betriebssystem Harmony OS haben wir mehrfach als große Luftnummer beschrieben. Mit dem Oniro-Projekt, das Davide Ricci von Huaweis Open Source Technology Center auf der SFScon in Bozen vorgestellt hat, versucht der Konzern zumindest aus Open-Source-Perspektive alles richtig zu machen - offenbar mit vielen Freiheiten für Ricci und dessen Team, die langjährige Open-Source-Erfahrung mitbringen. Huawei selbst tritt dafür bewusst in den Hintergrund.

Das Grundproblem für Huawei an dem Embargo war und ist, dass der Konzern damit von bestimmten Cloud-Diensten ausgeschlossen ist, die letztlich viele Nutzer mit ihren Apps verwenden. Wie Ricci in seinem Vortrag sagte, gilt das aber inzwischen für zahlreiche smarte Geräte vor allem im IoT-Bereich. Diese seien "amazonifiziert".

Amazonifizierung vieler Geräte

Die Amazonifizierung bezahlten Nutzer mit dem Transfer ihrer Daten in eine Cloud, sagte Ricci weiter. Mit mehreren Cloud-Anbietern und unterschiedlichen Cloud-Integrationen ergebe sich außerdem eine Fragmentierung. Nutzer müssten mehrere Logins und Apps für ihre Geräte verwalten, die womöglich nicht einmal miteinander kommunizieren können.

Hardware-Hersteller haben außerdem das Problem, dass sie sich meist an einen einzigen Software-Dienste-Anbieter binden. Huawei hat durch das Embargo und den Wegfall der Nutzungsrechte für die Google-Dienste die schmerzliche Erfahrung machen müssen, was das konkret bedeuten kann.

Aber auch kleinere Hersteller sind gefordert, eigene Lösungen umzusetzen, falls sie sich nicht an einen der großen Cloud-Anbieter binden wollen. So wird auch der Schläuche- und Spritzenhersteller Gardena zum IT-Anbieter und Industriegrößen wie Bosch bauen ihre eigene, dann aber wieder in sich geschlossene Cloud.

Open Source als Langfristlösung

Mit all diesen Problemen soll Oniro durch einen fundamentalen Open-Source-Ansatz aufräumen, der Hersteller durch eine geschickte Vorarbeit zur Kooperation bewegen könnte. Nutzer könnten Oniro-Geräte unterschiedlicher Hersteller kaufen, die sich lokal miteinander verbinden und auch ohne Cloud miteinander kommunizieren können - ein einheitliches, aber offenes Ökosystem.

Diesen durchaus ambitionierten Plan kommentiert Ricci in seinem Vortrag selbst etwas sarkastisch mit der Frage: "Haben Sie schonmal Einhörner fliegen sehen?" Im Gespräch mit Golem.de sagte Ricci dann deutlich sachlicher, dass das Projekt "auf lange Sicht" angelegt sei.

Ricci vergleicht den Plan für Oniro mit dem Yocto-Projekt, an dem er von Beginn an beteiligt war. Nach etwas mehr als zehn Jahren hat das Yocto-Projekt rund 20 Unternehmen als Mitglieder gewinnen können. Sie gehören mehrheitlich zu den IT-Größen der Welt. Der Rest der Open-Source-Community ist dennoch weiter involviert, nutzt Yocto und profitiert von dessen Open-Source-Umsetzung.

So oder so ähnlich stellt sich das Ricci (und wohl auch Huawei) offenbar für Oniro vor. Damit das aber tatsächlich erreicht werden kann, hat Ricci mit weiteren Beteiligten eine nahezu kompromisslose Open-Source-Strategie für Oniro erstellt, von der nicht nur Huawei, sondern die gesamte Industrie und Nutzer profitieren sollen.

Wie erwähnt stehen große Teile der Industrie vor der Frage der Abhängigkeit von gewissen Cloud-Anbietern oder eben der schweren technischen Entscheidung, das zu umgehen - und am Ende aber eine Lösung in der eigenen Nische zu erstellen. Ricci sagt dazu: "Huawei allein kann das nicht lösen", sondern nur ein Open-Source-Projekt, das breit angelegt ist.

Allerdings seien derartige Kooperation momentan in ihrer Reichweite innerhalb der Industrie oft auf bestimmte Märkte beschränkt: Nordamerika, Europa oder Asien. Die Probleme der Internet-of-Things-Industrie müsse aber global gelöst werden, erklärt Ricci. Die bisher existierenden Konsortien seien "nicht besonders gut" bei der Umsetzung dieser globalen Teilhabe gewesen.

Das Oniro-Projekt ist deshalb nun bei der Eclipse Foundation angesiedelt, die inzwischen in Europa beheimatet ist. Auch wenn weder Ricci noch Huawei oder die Eclipse Foundation das explizit sagen, kann davon ausgegangen werden, dass der eher überraschende Umzug der Foundation nach Europa auf Betreiben Huaweis umgesetzt wurde. Das Konsortium bekommt damit ein Alleinstellungsmerkmal im Vergleich zu den zahlreichen Projekten der Linux Foundation aus den USA.

Für das Oniro-Projekt dient die Eclipse Foundation dabei als Mittler zur Openatom Foundation in China und deren Projekt Openharmony. Darüber hinaus ist die Eclipse Foundation aber auch eine bekannte Größe in der Open-Source-Szene, die unabhängig von einzelnen Unternehmen agiert. Der Sitz in Europa ist letztlich auch ein Argument im Sinne der sogenannten digitalen Souveränität, die derzeit europaweit Unternehmen wie Politik umtreibt.

Oniro braucht Partner

Mit diesem Ansatz konnte das Oniro-Projekt bereits einige Partner gewinnen, obwohl die praktischen Arbeiten bisher weniger technischer Natur waren, sondern eher juristische Formalien umfassen. Beteiligt sind etwa das Hardware-Konsortium Linaro, der italienische Hersteller Seco und der NOI Techpark in Bozen. Letzterer ist Ausrichter der SFScon und bringt als Gründerzentrum Forschung und Wissenschaft mit Startups und Unternehmen in Südtirol zusammen. Dass Oniro auf der SFScon vorgestellt wurde, ist also kein Zufall.

Ricci hat für das in der Eclipse Foundation angesiedelte Oniro-Projekt jedoch noch deutlich größere Pläne. Als passende Mitglieder nennt er beispielsweise Hersteller wie eben Bosch oder Miele, die sich in dem vorbereiteten Projekt eigentlich nur noch mit der eigenen Hardware und den Endkunden-Anwendungen anschließen müssten - so zumindest die Idee.

Ob es dazu kommt, ist derzeit zwar noch nicht abzusehen. Die Vorteile wären aber klar: Die europäische Industrie könnte eine Hardware-Linie etablieren, die unabhängig von den US-Cloud-Anbietern besteht, und Oniro mit ihrer Marktmacht vermutlich als weiteren Wettbewerber etablieren.

Huawei könnte dann über Oniro vergleichsweise leicht wieder am europäischen Markt teilhaben. Wird das Ökosystem groß genug und Oniro fände eine starke Verbreitung, könnte das für das Unternehmen eventuell sogar bedeuten, wieder mehr Kunden in Europa zu erreichen. Dank des Open-Source-Codes könnte Huawei darüber hinaus in seinem chinesischen Heimmarkt Wettbewerbsvorteile erlangen. Für die anderen europäischen Mitglieder in dem Oniro-Projekt gilt das aber ebenso.

Ohne Geräte und Software und ohne die Entwickler und am Ende auch Kunden beim Kauf zu überzeugen, wird Oniro aber natürlich keinen Erfolg haben. Hierfür setzt Oniro fast kompromisslos auf eine Open-Source-Strategie, auf Blaupausen für Geräte und auf die Idee eines "verteilten Betriebssystems".

Aus technischer Sicht existiert von Oniro noch nicht allzu viel von dem, was tatsächlich am Ende bei Kunden im Wohnzimmer landen soll. Ricci und seine Mitstreiter haben aber zumindest schon die Grundlage gelegt, Pläne und Strategie für die Software erarbeitet und vielfältigen Code und Dokumentation erstellt.

Grundlegende Idee ist, dass Oniro eher ein plattformübergreifendes System aus Userspace-Diensten ist. Von dem Projekt und Ricci selbst wird das als verteiltes OS beschrieben. So soll das System etwa auf verschiedenen Kernels laufen können, von Zephyr und FreeRTOS bis hin zum klassischen Linux. Damit sollen dann Geräte vom kleinen Sensor über ein Wearable oder einen Aktuator bis hin zum Smart-TV und (langfristig) auch Mobiltelefone mit Oniro funktionieren.

Verteiltes Betriebssystem

Auch die Rechenleistung soll dabei verteilt werden. Statt der derzeit für viele IoT-Systeme üblichen zusätzlichen Gateways soll im Oniro-System einfach ein Gerät mit ausreichend Leistung diese Arbeit übernehmen, also etwa das Smart-TV. An dem konkreten Middlelayer für diese Kommunikation der Geräte untereinander werde derzeit mit den beteiligten Partnern gearbeitet, sagt Ricci.

Möglich wäre hier etwa die Nutzung der Web Ontology Language (Owl), damit die Geräte ihre Fähigkeiten untereinander kommunizieren können, wie Ricci im Gespräch mit Golem.de sagt. Hinzu kommen die eigentlichen Funktionen der Geräte, die ganz im Sinne des aktuellen IT-Trends auch um Machine-Learning-Anwendungen erweitert werden können, um etwa bestimmte Muster zu erkennen.

Auf der vergangenen Eclipse Con wurde Oniro entsprechend als "KI-freundliches Betriebssystem beschrieben". Hier steht die schnelle und einfache Integration von KI-Komponenten im Mittelpunkt, die sich direkt einsetzen lassen sollen. Details dazu erarbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe. Ricci sagt, die Oniro-Arbeitsgruppen seien letztlich auch die Foren, in denen die Details umgesetzt würden. Auch zur Verwendung und Verarbeitung von Daten gebe es bereits mögliche Frameworks, wie etwa Zenoh, das ebenfalls bei der Eclipse Foundation entsteht.

Langzeitpflege in Oniro selbst

Derzeit geplant sind auch regelmäßige Versionsveröffentlichungen mit Langzeitsupport - bisher über einen Zeitraum von drei Jahren. Wie Ricci durchaus überraschend zugibt, haben die meisten Hardware-Hersteller derzeit weiter eher ein Interesse daran, dass Geräte irgendwann neu gekauft werden, statt sie über einen längeren Zeitraum zu pflegen oder gar Versionsupgrades durchzuführen.

Der konkrete Zeitraum für die Pflege hängt wiederum von den Partnern und deren Interessen ab. Upgrades und etwa eine weitergehende Pflege könnten also möglich sein - im Zweifel dann letztlich auch durch Communitys ähnlich wie LineageOS für Android.

Für die erste Version 0.1 von Oniro, Codename Aladeen, die in den kommenden Wochen erscheinen soll, ist von dem großen Plan zwar noch nicht viel umgesetzt. Die wichtige Basis steht aber schon. Dazu gehören eine Build- und Testinfrastruktur auch mit echten Geräten, Kernel-Versionen, Toolchains, Root-Dateisystem sowie eine Blaupause für ein smartes Panel.

Von dieser Art Blaupause soll es künftig mehr geben, für eine Vielzahl von Geräten. Diese sollen zu 70 bis 80 Prozent ausentwickelt sein, wie Ricci sagt. Hersteller könnten diese Blaupausen nehmen, passende Hardware dafür bei den Projektpartnern beziehen und sie um eigene Endanwender-Software erweitern. So könnten schnell kompatible Oniro-Geräte auf den Markt gelangen.

Technische Grundlage dafür ist unter anderem eine Upstream-First-Policy: Das heißt, Änderungen müssen in Oniro eingepflegt werden, bevor sie auf Geräten landen, und Unterschiede zum eigenen Downstream-Fork übernommener Projekte sollen möglichst klein gehalten werden. Auch auf proprietäre und sogenannte Out-of-Tree-Treiber soll weitgehend verzichtet werden. Ähnlich wie beim Linux-Kernel ist laut Oniro-Dokumentation lediglich proprietäre Firmware erlaubt.

Bei der konkreten Hardware-Auswahl soll das von den Partnern auch berücksichtigt werden, so dass diese bereits auf Open-Source-konforme Hardware setzen können. Oder die genutzten nicht konformen Treiber sollen entsprechend im Upstream-Projekt eingebracht werden. Von der Praktikabilität dieses Ansatzes konnten sich Teilnehmer der SFScon bei einem Workshop überzeugen, den Patrick Ohnewein vom NOI Techpark im Gespräch mit Golem.de als Erfolg bezeichnet hat.

Open-Source-Juristerei wie aus dem Bilderbuch

Wichtig dabei sind auch zahlreiche Compliance-Vorgaben etwa zur Lizenzkompatibilität oder zum Einhalten der konkreten Bestimmungen. Auch dies versucht das Oniro-Projekt für die Hersteller, im Vergleich zu vielen anderen Projekten, deutlich zu vereinfachen. Helfen sollen hier eine CI, Best-Practices oder Werkzeuge zum Erstellen der sogenannten Bill of Materials.

Hinzu kommen Markenrechts- und Patentlizenzen, wobei Letztere auch über das OIN-Konsortium zustande kommen sowie über die Apache-Lizenz, die von Oniro selbst genutzt wird. Insbesondere für kleinere Hardware-Hersteller sind solche Dinge oft sehr große Hürden. Oniro möchte sie für die potenziellen Partner verschiedener Größen abbauen.

Erarbeitet wurden die beschriebenen Open-Source-Richtlinien in Kooperation mit dem Free Software Lab des NOI Techpark und dessen explizitem Beratungsangebot zu Richtlinien und Strategie. Auch die letztlich für die Richtlinie maßgeblichen Anwälte der auf IT spezialisierten Kanzlei Array seien auf Vermittlung des NOI Techparks zu Oniro gestoßen, sagte Ohnewein. Auch die Free Software Foundation Europe (FSFE) und deren Reuse-Projekt zur einfacheren Lizenzüberprüfung wurden einbezogen.

Im Vergleich zu den bisher eher dürftigen Versuchen mit Openharmony hat Oniro wegen all dieser Vorarbeiten zumindest das Potenzial, nicht als Luftnummer zu enden. Ob sich all die Vorarbeit auszahlt und Oniro Partner und Endkunden gewinnt, wird sich dennoch vermutlich erst in ein bis zwei Jahren zeigen.

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