Search

Max Payne: Als Shooter in Zeitlupe erwachsen wurden - Golem.de - Golem.de

Max Payne wird 20 Jahre alt! Golem.de hat den Kult-Shooter noch einmal gespielt - und war überrascht, wie gut das Actionspiel gealtert ist.

von Benedikt Plass-Fleßenkämper
Artwork von Max Payne
Artwork von Max Payne (Bild: Remedy Entertainment)

2001 war kein allzu gutes Jahr für PC-Spieler. Die großen Erfolgstitel wie Grand Theft Auto 3 und Halo erschienen vorerst exklusiv für Konsole. Black & White, der heiß herbeigesehnte Mix aus Strategiespiel und Kreaturensimulation von Peter Molyneux, entpuppte sich als Enttäuschung.

Und der Erfolg des Rollenspiels Gothic beschränkte sich vorrangig auf den deutschsprachigen Raum. Umso passender, dass das vielleicht beste Computerspiel des Jahres 2001 von einem bis dato nahezu unbekannten Team aus Finnland stammte.

Remedy Entertainment hatte zuvor gerade mal einen Titel veröffentlicht: das grafisch schlichte Arcade-Rennspiel Death Rally (1996), das aufgrund seiner durchschlagskräftigen Waffen zum Geheimtipp wurde. Doch ansonsten konnte niemand ahnen, was die Finnen wirklich auf dem Kasten hatten.

Ihr nachfolgendes Projekt hieß Max Payne und generierte im Vorfeld der Veröffentlichung einen Hype, der heute selten ist: Der Third-Person-Shooter besaß weder einen großen Namen noch war er Teil einer etablierten Franchise.

Das Spiel sorgte allein aufgrund der ersten Vorführungen für Furore, die Remedy beispielsweise auf der E3-Messe in Los Angeles abhielt. Jedem Beobachter fielen sogleich zwei Besonderheiten auf: die ungewöhnlich detaillierten Gesichter und das Bullet-Time-Feature.

Zugegeben: Die Gesichter stießen nicht nur auf Begeisterung. Besonders Protagonist Max Payne - optisch dem Remedy-Kreativchef Sam Lake nachempfunden - wirkte mit seinen übertrieben zusammengekniffenen Augen und seinen markanten Falten wie die Parodie eines Actionhelden, der einmal zu oft mit dem Kopf gegen eine Wand gelaufen ist.

Man merkte schnell, dass ein Großteil des Gesichts einfach eine platte Textur war. Nichtsdestotrotz war der Unterschied zu vergleichbaren Actiontiteln wie No One Lives Forever (2000) oder Red Faction (2001) bemerkenswert.

Mir persönlich war das Aussehen von Max Payne sowieso egal, weil mich mehr die innovativ klingende Bullet-Time-Mechanik interessierte. Dazu muss man wissen: Als das Spiel im Juli 2001 erschien, war der Kultfilm Matrix von den Wachowski-Schwestern erst zwei Jahre alt. Er erfand zwar nicht den Bullet-Time-Effekt, aber er machte ihn salonfähig.

  • Falten dank Schattierung: Obwohl Max Payne aus kaum mehr Polygonen besteht als andere Actionhelden der Jahrtausendwende, sieht er aufgrund der sehr gut gestalteten Texturen viel plastischer aus. Der Screenshot stammt zwar aus einer gepatchten Version mit hochauflösenden Grafiken, das Original von 2001 sieht jedoch nur unwesentlich schlechter aus. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)
Falten dank Schattierung: Obwohl Max Payne aus kaum mehr Polygonen besteht als andere Actionhelden der Jahrtausendwende, sieht er aufgrund der sehr gut gestalteten Texturen viel plastischer aus. Der Screenshot stammt zwar aus einer gepatchten Version mit hochauflösenden Grafiken, das Original von 2001 sieht jedoch nur unwesentlich schlechter aus. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)

Sowohl ich als auch meine Freunde waren jedenfalls stets fasziniert, sobald sich die Kamera in einer zum Stillstand gekommenen Szene um ihre eigene Achse drehte oder wenn Protagonist Neo angeschossen wurde und sich in Zeitlupe geschickt nach hinten beugte, um den Geschossen auszuweichen.

Nun gab es schon vor Max Payne diverse Computerspiele, die eine vergleichbare Funktion besaßen - allen voran der Ego-Shooter Requiem: Avenging Angel (1999), in dem man dank seiner Zauberfähigkeiten die Zeit einfrieren und sich gleichzeitig frei bewegen konnte.

Doch Remedy erschien diese Herangehensweise nicht cool genug. Deshalb reduzierten die Entwickler den Bullet-Time-Effekt auf eine simple Slow-Motion-Mechanik, in der sich auch die eigene Spielfigur drastisch verlangsamte.

Der entscheidende Unterschied: Man konnte in Normalgeschwindigkeit zielen und somit viel effektiver seine Gegner anvisieren. Und das sah in Kombination mit einem Hechtsprung zur Seite so verdammt cool aus, dass ich Max Payne unbedingt spielen musste.

Gleichzeitig ahnte ich nicht, dass keines der beiden genannten Elemente aus Max Payne ein zeitloses Meisterwerk machen sollte. Remedy hatte nämlich noch eine dritte Besonderheit im Gepäck, die mir erst während des Spielens auffiel: die Story und deren Präsentation.

Max Payne

Reifeprozess eines Computerspiels

Vor der Jahrtausendwende waren Shooter und Actionspiele im Allgemeinen nicht besonders berühmt für ihre Handlung. Selbst das hochgelobte Half-Life (1998) nutzte seinen Plot eher als Mittel zum Zweck, um die unterschiedlichen Levels eines spannenden Spiels zusammenzuhalten.

Remedy hingegen hatte Größeres im Sinn: Die Entwickler wollten eine durch und durch ernste Story erzählen, die gezielt Erwachsene ansprach. Bereits der Name des Protagonisten Max Payne (frei übersetzt: "Maximaler Schmerz") verdeutlichte, dass man hier kein Happy End erwarten sollte.

Fast alle Zwischensequenzen wurden in Form von hochwertig gezeichneten Comicseiten gezeigt, die bewusst unscharf sowie dreckig und somit zeitlos aussehen. Und in der Tat, sie gefallen mir heute genauso gut wie vor 20 Jahren.

Doch bevor ich detailliert auf das Spiel eingehe und meine heutigen Erfahrungen schildere, gibt es leider noch eine schlechte Nachricht. Es ist nämlich hierzulande nicht so ohne Weiteres möglich, Max Payne zu kaufen und zu spielen.

Ein gebrauchtes Original von 2001 ist auf Ebay und Co. zwar nicht besonders teuer, allerdings erfordert die Installation auf modernen PCs sowohl Geduld als auch die richtigen Patches. Ansonsten gäbe es noch die Playstation-2-Umsetzung, die aber technisch deutlich schwächer als das Original ist und für die man natürlich die passende Konsole benötigt.

In Deutschland unerwünscht

All das wäre kein Problem, denn schließlich kann man Max Payne auf Steam kaufen - aber nicht in Deutschland. Valve, der Betreiber der digitalen Vertriebsplattform, blockiert nämlich jedes Spiel, das von unserer hiesigen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert wurde.

In der Tat betraf dies auch Max Payne, bis es 2012 aufgrund eines neu gestellten Antrags von der Liste entfernt wurde und von der USK eine Altersfreigabe "ab 18" erhielt.

Seither gibt es rein rechtlich gesehen kein Hindernis mehr, das Spiel auch hierzulande über Steam anzubieten. Jedoch hat Valve nie auf die Rücknahme der Indizierung reagiert. Mehr noch: Die meisten - nicht alle - Key-Anbieter verweigern ebenfalls einen Verkauf an deutsche Kunden.

Unabhängig davon hatte ich beim Start meiner Steam-Version Probleme, bedingt durch mein Windows-10-Betriebssystem. Abhilfe schafft ein Patch, der zum Glück leicht zu finden und zu installieren ist: Am besten wählt man Max Payne in seiner Steam-Bibliothek aus und sucht nach dem Unterpunkt Guides, den man rechts neben Shopseite und Communityhub findet.

Dort gibt man in die Suchleiste "Complete FixPack" ein und liest sich den ersten Eintrag durch, der unter anderem einige Links zum gleichnamigen Patch verrät. Nebenbei bemerkt möbelt er das Spiel grafisch ein wenig auf, indem er den Oldie mit hochauflösenden Texturen verfeinert.

Rache als Motivation

Jetzt geht es aber endlich mit dem Spiel los: Gleich in der ersten Szene steht ein zerknautschter Max Payne auf dem Dach eines Hochhauses im New York City der Gegenwart, das von der Polizei umstellt wird.

Er hält ein Sniper-Gewehr im Arm und läutet mit seiner hervorragend gewählten englischen Erzählerstimme (James McCaffrey) eine der längsten Rückblenden der Spielegeschichte ein, die sich fast über die gesamte Dauer der 22 Kapitel erstreckt.

Max Payne wird als ein ehemals unbedarfter und lebensfroher Polizist gezeigt, der nichtsahnend nach Hause fährt und sich auf seine Frau und die neugeborene Tochter freut. Doch sein Glück endet jäh, als er seine Familie erschossen in der Wohnung vorfindet.

  • Ein lachender Max Payne aus unbeschwerten Zeiten: Das kurze Intro zeigt schonungslos den Fall vom lebenslustigen Polizisten zum seelischen Wrack. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)
Ein lachender Max Payne aus unbeschwerten Zeiten: Das kurze Intro zeigt schonungslos den Fall vom lebenslustigen Polizisten zum seelischen Wrack. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)

Sie wurde von durchgeknallten Junkies ermordet, die unter dem Einfluss der gefährlichen Droge Valkyr standen. Von diesem Schicksalsschlag auf ewig gezeichnet, schwört Payne Rache und tritt dem New Yorker Drogendezernat bei, um sich an den Dealern zu rächen.

Einen derart ernsten Plot kannte man kurz nach der Jahrtausendwende nicht - erst recht nicht jenseits von storylastigen Adventures oder Rollenspielen. Zwar wirken manche Handlungsdetails im Nachhinein an den Haaren herbeigezogen und klischeehaft.

Aber unterm Strich war die Qualität hoch genug, sodass viele Rezensenten das Spiel seinerzeit mit einer professionellen Kinoproduktion verglichen. Die Ironie: Gerade diese bluternste Dramatik führte 2001 zur Indizierung in Deutschland, weil der Spieler eben in die Rolle eines amoklaufenden Racheengels schlüpfe.

Max Payne

Kaum intellektuelle Herausforderungen

Zudem hätte Remedy rein spielerisch betrachtet kaum etwas Seichteres abliefern können, was mir schon vor 20 Jahren und vor allem im Vergleich mit anderen Shootern aus jener Zeit auffiel.

Die waren nämlich für ihre eher verwinkelten und verschachtelten Levels bekannt, egal ob in Doom (1993), Jedi Knight (1997) oder dem bereits erwähnten No One Lives Forever. Selbst in einem linearen Spiel war es nicht immer ersichtlich, wohin man als Nächstes gehen musste.

Max Payne hingegen stellt mich kaum vor intellektuelle Herausforderungen und konfrontiert mich stattdessen mit immer wilderen Feuergefechten. Rätsel gibt es nahezu keine, und wenn ich mal länger als fünf Sekunden hängenbleibe, dann nur, weil ich nicht gleich die Ausgangstür gesehen habe.

Zu den seltenen Ausnahmen zählen ein paar Traumsequenzen, in denen Payne unfreiwillig unter den Einfluss von Valkyr steht und in einem Labyrinth voller Gänge nach dem Ausgang sucht. Doch wieder entpuppt sich die Lösung als beschämend simpel: Ich muss mich einfach an dem Geschrei von Frau und Kind orientieren, das mein Alter Ego im Wahn vernimmt.

Ansonsten ist mir bei meiner Wiederspielrunde noch eine kleine Stelle aufgefallen, die mich minimal ins Grübeln gebracht hat: Ich verfolge einen Schurken über mehrere Gebäudedächer, bis er wagemutig über die Kante und auf einen fahrenden Zug springt.

Meine ersten Versuche, ihm auf die gleiche Weise zu folgen, scheitern kläglich. Doch das Problem beziehungsweise die Lösung ist noch viel dämlicher: Ich selbst darf nicht springen! Stattdessen muss ich mit Anlauf über die Dachkante flitzen, woraufhin Payne plötzlich weit genug hüpft. Alles klar...

Laufen, Springen, Schießen, Speichern, Repeat

Der Rest des Spiels? Ballern, ballern, ballern! Ich erhalte recht früh mehrere Waffen, etwa eine doppelte Beretta oder eine abgesägte Schrotflinte. Munitionsprobleme habe ich im voreingestellten - und beim ersten Spieldurchlauf einzig anwählbaren - Schwierigkeitsgrad keine.

Max Payne stammt aus einer Zeit, in der sich die Wunden der Spielfigur nicht von alleine regenerieren. Ich muss also auf meine Lebensenergieanzeige achten und mich selbst heilen. Dazu stolpere ich regelmäßig über Painkiller, von denen ich bis zu acht gleichzeitig einsammeln kann und die ich nach Belieben aufbrauchen darf.

Bereits in der U-Bahn, dem ersten Level des Spiels, muss ich praktisch vor jeder Abbiegung stehen bleiben und die Kamera zur Seite drehen. Sehe ich im folgenden Gang einen oder gar mehrere Schurken, dann hechte ich per Bullet Time zur Seite und knalle im Idealfall alle Gegner im Sprung ab.

Reicht die Zeit nicht, springe ich einfach nach vorne, nach hinten oder zurück zur Seite - je nachdem, wo mehr Platz ist. Geht auch das schief, lade ich einen alten Spielstand. Klappt hingegen alles, speichere ich komfortabel mit einem Druck auf die F5-Taste ab.

Und das ist eigentlich alles, was Max Payne in seinen etwa zehn Stunden Spielzeit spielerisch zu bieten hat. Abseits von sehr seltenen Ausnahmemomenten (wie der erwähnten Traumsequenz) konzentriert sich das Spiel auf diesen ehrlich gesagt etwas drögen Ablauf.

In den späteren Kapiteln steigt die Zahl der Widersacher oder sie tragen so starke Waffen, dass sie mich selbst in voll geheiltem Zustand in zwei Sekunden umpusten. Zudem begegne ich noch dem einen oder anderen Boss, der im Vergleich zu seinen Handlangern ein Vielfaches an Schaden aushält.

Beim Szenario hält sich die Vielfalt ebenfalls in Grenzen. Denn egal, ob U-Bahn, Wohnkomplex oder Fabrikanlage: Alle Umgebungen sind ähnlich düster und dreckig. Unschuldige Passanten gibt es so gut wie keine, sondern allenfalls ein paar harmlose Drogenabhängige, die in einer Ecke stehen und ins Leere starren.

Max Payne

Fazit: Dumpf und düster - und kulturell wertvoll

Das ist jedenfalls die hässliche Seite, die mich bis heute griesgrämig stimmt. Max Payne ist mit daran schuld, dass Shooter nach 2001 ein paar Schritte rückwärts gegangen sind, was die Spieltiefe anbelangt.

Heutzutage folgen die meisten Actionspiele einem ähnlichen Prinzip, indem sie den Spieler durch einen offensichtlichen Weg hetzen, kaum neue Gegner einführen und die Levelarchitektur zu einer vernachlässigbaren Randnotiz verkommen lassen.

  • Besondere Ereignisse wie diese in die Luft gesprengte Tür sind zwar selten, dafür grafisch sehr ansprechend gestaltet. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)
Besondere Ereignisse wie diese in die Luft gesprengte Tür sind zwar selten, dafür grafisch sehr ansprechend gestaltet. (Bild: Remedy Entertainment / Screenshot: Medienagentur Plassma)

Was ich dem Spiel aber unbedingt zugestehen muss: Max Payne ist hervorragend gealtert und strahlt die gleiche Faszination wie vor 20 Jahren aus. Das wiederum sorgt unterm Strich dafür, dass meine Meinung über den Shooter eher gestiegen ist.

Damals war mir nicht bewusst, welch großen Dienst Remedy dem Medium Computerspiel mit Max Payne erwiesen hat. Erst im Nachhinein verstehe ich die Bedeutung des mutigen Storytellings, mit dem die Finnen womöglich Generationen anderer Entwickler inspiriert und beeinflusst haben.

Max Payne ist eben doch viel mehr als ein rachsüchtig motivierter Amoklauf eines vom Schicksal geprügelten Mannes. Es ist ein düsterer Film Noir zum Mitspielen, der trotz des recht monotonen Spielablaufs auch heute noch mächtig Eindruck hinterlässt.

Adblock test (Why?)

Artikel von & Weiterlesen ( Max Payne: Als Shooter in Zeitlupe erwachsen wurden - Golem.de - Golem.de )
https://ift.tt/3hGvN8j
Wissenschaft & Technik

Bagikan Berita Ini

0 Response to "Max Payne: Als Shooter in Zeitlupe erwachsen wurden - Golem.de - Golem.de"

Post a Comment

Powered by Blogger.