Warum hat sich der Wert eines NES-Moduls vervielfacht? Und was hat das mit Münzen zu tun? Wir erklären den Auktionshype um Wata Games und Heritage Auctions.
Im Jahr 2017 wechselte ein originalversiegeltes Videospiel für die sagenhafte Summe von 30.000 US-Dollar auf Ebay den Besitzer. Der Name des Spiels: Super Mario Bros. Es handelte sich um eine seltene Variante aus der ersten Produktionscharge von 1985, von der nicht mehr als ein Dutzend in bestem Erhaltungszustand bekannt sind.
Im Jahr 2021 überstieg der Preis für ein Super-Mario-Spiel erstmals zwei Millionen US-Dollar. Es war exakt das gleiche Exemplar. Was ist passiert?
Die Kurzfassung: Spekulation und halbseidene Geschäftspraktiken haben die Preise für Retro-Spiele in die Höhe getrieben. Aber es steckt noch mehr dahinter - und es ist kein Zufall, dass eine treibende Kraft hinter den aktuellen Fantasiepreisen sich schon einmal wegen manipulativer Markteingriffe vor Gericht verantworten musste.
Die folgenden Informationen wurden zum großen Teil von einem Mitglied der Speedrunner-Szene und leidenschaftlichen Videospieler aus Australien gesammelt und ausgewertet. Karl Jobst hat bereits zuvor Betrugsfälle aufgedeckt und auf seinem Youtube-Kanal öffentlich gemacht.
Um zu verstehen, wie die aktuellen Summen zustande kommen, ist zunächst eine wichtige Unterscheidung vonnöten: Die Videospiele, um die es hier geht, sind genauso wenig mit denen vergleichbar, die wir auf dem Flohmarkt gekauft haben, wie es die Briefmarke auf der Postkarte von Oma mit der seltenen Audrey Hepburn ist.
Sie sind unzweifelhaft in ihrem Erhaltungszustand sehr rar und damit für einige Menschen wertvoll. Wie wertvoll genau, richtet sie wie bei anderen Sammlergegenständen nach dem exakten Zustand. Um den herauszufinden und zu klassifizieren, gibt es Firmen, die Einstufungen vornehmen.
Bis ins Jahr 2018 war die erste Instanz hier ein Unternehmen namens VGA. Seitdem hat sich das Startup Wata Games etabliert und gilt inzwischen als lukrativere Variante. Das lässt sich auch daran erkennen, dass alle oben genannten Rekordspiele von Wata eingestuft wurden.
Die Einstufung kostet je nach Bearbeitungszeit, Spielwert und Zusatzleistungen wie Reinigung zwischen 60 und über 200 US-Dollar. Das kann sich lohnen, denn eine Kopie des Spieles Super Mario 64 mit einer Bewertung von 9.8 brachte kürzlich 1.5 Millionen US-Dollar.
Aber wo genau verkauft man seinen frisch bewerteten und hübsch eingepackten Dachbodenfund?
Hier kommt die zweite an der aktuellen Preisblase beteiligte Firma ins Spiel. Alle bislang genannten Rekordverkäufe liefen über ein einziges Auktionshaus: Heritage Auctions.
Dessen Geschäftsführer und Gründer James L. Halperin wurde mit Münzauktionen reich und war mitverantwortlich für den rapiden Anstieg der Preise auf dem US-Markt in den 1980er Jahren. Die Blase platzte und Heritage Auctions musste eine Entschädigungszahlung in Millionenhöhe leisten.
Nach Gründung von Wata Games begann Heritage Auctions damit, auch Videospiele anzubieten. Diese erzielten sehr schnell verdächtig hohe Verkaufspreise, die es in die Schlagzeilen schafften. Damit wurde es plötzlich attraktiv, den Keller oder das alte Kinderzimmer mal nach alten Modulen und deren Schachteln zu durchsuchen - um beides dann bei Wata Games bewerten zu lassen. Die eigene, in Plastik versiegelte Kopie von Kid Icarus wurde so genau wie Münzen früher zur Idee einer Geldanlage.
Aber genau wie letztere wird ihr Wert von nur wenigen Menschen bemessen und kann nur dann in reales Geld umgewandelt werden, wenn genügend Kaufwillige den Wert anerkennen.
Eine enge Kooperation treibt die Preise nach oben
Wer definitiv verdient, sind die Firmen, die die Einstufungen vornehmen und die Auktionshäuser, die einen Anteil am Verkaufspreis erhalten - in diesem Fall 20 Prozent. Damit ist auch das Interesse von Heritage Auctions an von Wata Games hoch bewerteten Spielen erklärlich.
Die beiden Unternehmen kooperieren sehr eng. Man könnte auch sagen: zu eng.
So wird James L. Halperin als Berater von Wata Games genannt und Heritage Auctions listet ausschließlich von Wata Games zertifizierte Spiele. Aber damit nicht genug: Die erfolgreichen Gebote bei der ersten Auktion eines Videospiels für die Rekordsumme von 100.000 US-Dollar wurde von drei Männern gemeinsam abgegeben. Einer von ihnen ist der Sammler Rich Lecce, der zweite besitzt eine Kette von Videospielläden und der dritte ist - Überraschung - James L. Halperin. Das Spiel: Super Mario Bros.
Es braucht nicht viel Fantasie, um zu bemerken, dass hier der Wert von Retro-Spielen künstlich in die Höhe getrieben werden sollte, was auch gelang. So kündigte Wata Games bereits 2019 selbstbewusst an, es sei nur eine Frage der Zeit, bis eines der von ihnen bewerteten Spiele die Millionengrenze überschreite.
Aber wer kauft eine eingeschweißte Pappschachtel mit einer Anleitung und einem Modul aus den 1980er Jahren für solch absurde Preise? Neben den bereits erwähnten dreien sind es vor allem Spekulanten. Diese erkennen den aufstrebenden Markt und versuchen aufzupringen. Sie kaufen, wenn die Preise anfangen zu steigen und schaffen es, zu verkaufen, bevor der Zenit überschritten ist. Die cleveren unter ihnen erkennen den Höhepunkt der Blase rechtzeitig, alle anderen verlieren ihre Investition.
Dass sie weder von Videospielen noch von der über Jahrzehnte existierenden Sammlergemeinde Ahnung haben, spielt keine Rolle. Auch die Tulpenspekulanten in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts wussten weder etwas von Blumen noch wollten sie welche besitzen.
So verwundert es wenig, dass allein der Besitz eines Anteils am Kauf eines überteuerten Spieles ausreicht, um Gewinn zu machen - solange es bergauf für die Preise geht. Die hier mitspielen, sind übrigens auch im Geschäft mit NFTs.
Ein Aspekt fehlt noch an der Geschichte um Heritage Auctions und Wata Games. Denn neben dem Gewinn durch das gestiegene Interesse an der Zertifizierung von Spielen lässt sich hier noch anderweitig Geld machen.
Keine Transparenz bei der Bewertung
Da die Einstufungen bares Geld bedeuten, ist eine hohe Einstufung natürlich erstrebenswert. Aber wie bekommt man die? Am einfachsten ist es, wenn man sie sich selbst ausstellt. Da das ganz offensichtlicher Betrug ist, verbietet Wata Games seinen Mitarbeitern das Bewerten der eigenen Sammlung.
Allerdings nicht allen. Eines des Mitglieder des Direktorates bekam nicht nur seine Sammlung bewertet, sie wurde sogar durch einen Blogpost und einen eigenen Namen geadelt. Der Sammler spielt in einer Stellungnahme seine Verbindung zwar herunter, aber allein, dass diese Verbindung weder öffentlich kommuniziert noch intern als problematisch bewertet wurde, spricht gegen die Transparenz der Prozesse bei Wata Games.
Sowohl Wata Games als auch Heritage Auctions bestreiten illegale Absprachen und behaupten, sie seien von den Anschuldigungen nicht vorab informiert worden. Die grundlegenden Vorwürfe konnten beide Unternehmen bislang jedoch nicht entkräften. Sicher sind die Verbindungen der beiden beteiligten Unternehmen und die beschriebenen Transaktionen - sie werden nicht bestritten und lassen sich leicht überprüfen.
Ob die Verflechtungen auch rechtliche Folgen haben werden, ist indes offen. Wata Games wurde kürzlich von einer Investorengruppe aufgekauft.
Damit wären wir am vorläufigen Ende der Geschichte der Retro-Preisblase angekommen. Sie wird wie alle anderen vor ihr platzen und niemand kann momentan abschätzen, wann das passiert. Bis dahin sollte man sich als Sammlerin oder Sammler in Geduld üben, wenig oder nichts erwerben und höchstens doppelte oder ungeliebte Exemplare mit Gewinn verkaufen - aber bitte unbewertet.
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