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vonJakob Maurer
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Ein Safthersteller aus Hamburg verwertet Früchte von Streuobstwiesenund integriert dabei Langzeitarbeitslose in den Arbeitsmarkt
Mit Obstbäumen in Hamburger Stadtgärten fing es an. Wenn etwa Äpfel hängen blieben, als das Laub schon längst am Boden lag, dann rollte die Truppe von Jan Schierhorn an, pflückte, was der Baum hielt, und machte Saft daraus.
„Das Geld hängt an den Bäumen“, so heißt der gemeinnützige Safthersteller, der seine Getränke an Unternehmen, Restaurants, Hotels sowie Privatkund:innen vertreibt – und dabei zweifach nachhaltig wirken will.
Einerseits will das Team die alte Kulturlandschaft der Streuobstwiesen erhalten, indem das vergessene Obst nicht länger ungenutzte Ressource bleibt. Denn Jahr für Jahr verrotten in der Erntesaison schließlich viele Kilogramm Obst – privat und auf den Wiesen. Andererseits beschäftigt der Betrieb gezielt Menschen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft stehen, Menschen mit Behinderung etwa oder Langzeitarbeitslose.
2009 startete Schierhorn, Gesellschafter einer Marketingagentur, das Projekt. Seither ist das Team genauso wie die Ernteflächen größer geworden. „Wir nehmen weiter gerne das Obst von Oma Erna, die nicht mehr auf den Baum klettern kann“, sagt Till Kelpe, der 2015 als Kommunikationschef zum Unternehmen im Hamburger Stadtteil Altona dazustieß. Aber inzwischen sei man so stark gewachsen, „dass wir mittlerweile an die 100 Tonnen im Jahr ernten“. Dafür reichen die Altonaer Stadtgärten nicht mehr. Jetzt sammeln sie auf Grünflächen wie Streuobstwiesen rund um Hamburg und haben kürzlich einen Obsthof in der Region übernommen.
Das klingt nach dem marktüblichen Gang der Dinge: mehr Fläche, mehr Obst, mehr Saft, mehr Geld, mehr Fläche, mehr Obst und so weiter. Auch Kelpe sagt: „Wir sind weiterhin im Wachstum begriffen.“ Aber, betont er, „nicht um des Wachsens willen“.
Das Projekt ist gemeinnützig angelegt. Gewinne dürfen nicht an die Gesellschafter:innen ausgeschüttet werden. Sie müssen für den gemeinnützigen Zweck verwendet werden. Und der besteht darin, fortlaufend Menschen aus Randgruppen auf den regulären Arbeitsmarkt zu holen, ihnen also sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu geben außerhalb von Werkstätten oder Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen.
Doch gerade die Kontinuität ist dabei die große Herausforderung. Der Weg auf den ersten Arbeitsmarkt wird von der Agentur für Arbeit und den Integrationsämtern unterstützt: etwa mit einer Probezeit oder Fördergeldern, die eine geringere Arbeitsleistung ausgleichen sollen. „Diese Förderungen laufen zwei, drei, fünf Jahre und dann ist Schluss“, beklagt sich jedoch Gottfried Eich, der dem Hamburger Unternehmen als Berater für Förderanträge zur Seite steht. „Es wird deshalb keinem gekündigt“, betont er, „aber der Druck wird groß, das zu kompensieren.“
Manfred Otto-Albrecht vom Unternehmensnetzwerk Inklusion arbeitet in Hamburg als Projektleiter an der Fortbildungsakademie der Wirtschaft daran, mehr Betriebe dazu zu ermutigen, Menschen mit Behinderung zu integrieren. Probleme, wie sie Gottfried Eich schildert, kennt er nur zu gut: „Das Fördersystem ist unglaublich kompliziert.“ Jeder Einzelfall sei mit enormen Aufwand verbunden. Zwar sei das Inklusionssystem „sehr kompetent, was die Unterstützung der Betroffenen anbelangt“. Was jedoch fehle, sagt der Diplom-Pädagoge, sei eine Anlaufstelle für die Betriebe.
Otto-Albrecht plädiert für eine Stelle, die Unternehmen die Möglichkeiten aufzeigt, die es für die Inklusion am Arbeitsmarkt gibt. Im Falle von Menschen mit Behinderung hebt er jedoch das 2018 eingeführte „Budget für Arbeit“ als „gutes Instrument“ hervor, da damit erneute Bewilligungen von Lohnzuschüssen verhältnismäßig unkompliziert abliefen.
Bei „Das Geld hängt an den Bäumen“ haben laut Kelpe etwa drei Viertel der 25 Mitarbeiter:innen einen Schwerbehinderten-Ausweis. Manchmal bekämen sie zu hören, sagt Kelpe: „Menschen mit Behinderung können weniger, da will ich nichts mit zu tun haben.“ Doch mit ihrem Unternehmen wollen sie zeigen, „dass der Einzelne, egal welche Voraussetzung er hat, viel leisten kann.“
Die meisten Angestellten arbeiten das Jahr über im Landschafts- und Gartenbau, dem zweiten Standbein des Unternehmens außerhalb der Erntezeit. Sie sind in Hamburg und Umgebung unterwegs, mähen Rasen, schneiden Hecken oder bauen Terrassen. Und wenn Erntezeit ist, gehe es gemeinsam raus, erzählt Kelpe: „Darius, der eine Sehbehinderung hat, kann sehr viel schneller und besser Äpfel sammeln als ich, der den ganzen Tag im Büro sitzt.“ Da sehe man zum hundertsten Mal: „Menschen mit sozialer Benachteiligung haben genauso ihre Stärken.“
Artikel von & Weiterlesen ( Ernte mit Mehrwert - Frankfurter Rundschau )https://ift.tt/3qlGwGb
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