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Raumfahrt: Braucht es Kernkraft für den Flug zum Mars? - Golem.de - Golem.de

In den USA werden wieder nukleare Raketentriebwerke für Mars-Reisen entwickelt. Aber wie funktionieren sie und braucht es Kernkraft dabei überhaupt?

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So stellt sich die Nasa ein Raumschiff für den Flug zum Mars mit Nuklearem Antrieb vor.
So stellt sich die Nasa ein Raumschiff für den Flug zum Mars mit Nuklearem Antrieb vor. (Bild: Nasa)

Für einen Teil der Nasa scheint eine retrofuturistische Zukunft mit nuklearen Raketenantrieben, wie einst in 2001: Odyssee im Weltraum und der Science Fiction der 1960er Jahre ausgemacht und unausweichlich zu sein. Die Nasa macht derzeit Pläne für einen Flug zum Mars im Jahr 2039 und die Entwicklung der nuklearen Raketentriebwerke ist ein Kernbestandteil davon. Deshalb hat sie drei Entwicklungsverträge für die notwendige Reaktortechnik vergeben.

Demgegenüber kommen die Pläne von SpaceX für den Flug zum Mars mit konventionellen Raketenantrieben aus, die Methan mit Sauerstoff verbrennen. Aber die Entwicklung von Kernreaktoren für die Raumfahrt war eine der letzten Anweisungen von Donald Trump an die Nasa. Die Darpa, eine US-Militärbehörde zur Entwicklung neuer Technologien, will deshalb bis 2025 wieder nukleare Raketentriebwerke entwickeln lassen. Aber was ist überhaupt ein nuklearer Raketenantrieb und was kann Kernkraft allgemein für eine Marsreise bringen?

Nukleare Raketentriebwerke sind nur eines von drei Gebieten, in denen Kernreaktoren zum Einsatz kommen können. Nach einem anderen Konzept, dem nuklear-elektrischen Antrieb, sollen sie auf Raumschiffen Strom zum Betrieb von elektrischen Triebwerken erzeugen und in einem dritten hauptsächlich der Strom- und Wärmeversorgung auf der Oberfläche von Mond und Mars dienen.

Alte Technik und keine Science Fiction

Keine dieser Techniken ist völlig unrealistisch oder völlig neu. Kleine Kernreaktoren wurden schon in den 1960er Jahren zur Stromversorgung in der Raumfahrt entwickelt. Besonders bekannt sind die russischen RORSAT Radar-Spionagesatelliten. Aufwendigere Elektronik an Bord brauchte noch mehr Leistung als Solarzellen liefern konnten. RORSAT sollte außerdem in niedrigen Orbits fliegen, in denen die Solarzellen zu große Luftreibung erzeugt hätten. Das Projekt wurde zurecht kritisiert. Zwei Satelliten stürzten ab. Erst 1988 wurde das Programm vom ehemaligen Sowjet-Präsidenten Michail Gorbatschow eingestellt.

Nukleare Raketentriebwerke wurden auch entwickelt. Sie standen 1969 unter dem Projektnamen Nerva kurz vor der Einsatzreife. In den USA gab es ein eigenes Space Nuclear Propulsion Office, dessen Arbeit aber 1973 beendet wurde. Grund war die Kürzung des Nasa-Budgets im Anschluss an die Mondlandung und die Ausweitung des Vietnamkriegs. Geplant war, mit einem nuklearen Space Shuttle regelmäßige Flüge zum Mond und Expeditionen zum Mars durchzuführen. Die fanden aber nie statt und die Triebwerke wurden daher nicht gebraucht.

Der Grund für die Entwicklung war die hohe Effizienz der Technik. Beim gleichen Schub verbrauchen nukleare Raketentriebwerke nur knapp halb so viel Treibstoff wie die effizientesten Wasserstofftriebwerke. Die Einsparung ist sogar noch viel größer, wie es auch die Raketengleichung zeigt, denn viel Treibstoff wird allein dafür verbraucht, um den später noch notwendigen Treibstoff an Bord mit zu beschleunigen, womit jeder Effizienzgewinn sehr starke Auswirkungen hat.

Diese Triebwerke sollten einst Reisen zum Mars mit Hilfe der Raketentechnik des Apollo Mondprogramms möglich machen. Spätestens Ende der 1970er Jahre sollte es soweit sein.

Möglich wird das durch den Kernreaktor des Triebwerks, das Wasserstoff als Treibstoff benutzt. Die Effizienz eines Raketentriebwerks ist von der Bewegungsgeschwindigkeit abhängig, mit der der Treibstoff die Raketendüse verlässt. Mit der doppelten Geschwindigkeit wird pro Sekunde nur halb so viel Treibstoff für den gleichen Schub benötigt. In der Praxis können damit aber wegen der Raketengleichung über dreiviertel der Startmasse eingespart werden.

Die Entwicklung von Nukleartriebwerken in den 1960er Jahre endete mit dem Nerva-Triebwerk. Bei Tests in den Jahren 1968 und 1969 erreichte es mit 1.137 MW Reaktorleistung immerhin 246 kN Schub, soviel wie ein kleines konventionelles Raketentriebwerk, wie es in der Oberstufe einer Rakete verwendet werden würde. Gebräuchliche Ionentriebwerke, die nochmals deutlich effizienter sind, erreichen nicht mehr als ein paar Newton Schub. Nukleare Antriebe vereinen also vergleichsweise hohe Effizienz mit hohem Schub. Das ermöglicht schnelle Manöver mit moderatem Treibstoffverbrauch, während Ionentriebwerke oft Wochen oder Monate für größere Änderungen der Flugbahn brauchen.

Nukleartriebwerke sind nur mit Wasserstoff effizient

Dafür musste der Kernreaktor von Nerva nicht nur hohe Leistung, sondern auch eine Betriebstemperatur von 2.000 Grad Celsius haben - in neueren Reaktoren werden noch höhere Temperaturen angestrebt. Denn die Geschwindigkeit der Moleküle im Abgas hängt hauptsächlich von zwei Faktoren ab. Höhere Temperaturen erhöhen die kinetische Energie pro Molekül im Abgas. Je leichter das Molekül ist und je mehr kinetische Energie es hat, desto höher ist dessen Geschwindigkeit in der Raketendüse. Deshalb muss Wasserstoff zum Einsatz kommen, denn kein Treibstoff ist leichter.

Schon mit bloßem Wasser wäre das gleiche Triebwerk nicht effizienter als ein chemisches Raketentriebwerk, braucht dafür aber nur Wasser und keinen brennbaren Treibstoff. Ein Ansatz den der Nuklearwissenschaftler Anthony Zuppero in seiner frei verfügbaren Autobiographie To Inhabit the Solar System vertritt.

Hohe Temperaturen werden für Reaktoren zum Problem

In einem chemischen Raketentriebwerk muss der Wasserstoff mit schweren Atomen wie Sauerstoff verbrannt werden. Dabei wird das Molekül als Ganzes schwerer. Ein Wassermolekül ist neunmal so schwer wie Wasserstoff und die Energie zum Antrieb des Raumschiffs kommt aus der chemischen Reaktion. Die lässt sich nicht mehr verbessern, höchstens durch hohe Verbrennungstemperaturen und einen Überschuss an Wasserstoff besser ausnutzen. Aber es gibt harte Grenzen der möglichen Effizienz eines solchen Triebwerks, bei dem die Energie aus der Verbrennung des Treibstoffs kommt und nicht aus einer Energiequelle von außen wie einem Kernreaktor.

Die hohen Betriebstemperaturen sind eine große Herausforderung. Selbst Hochtemperaturreaktoren zur Stromgewinnung arbeiten unter 1.000 Grad Celsius. Aber mit keramischen Brennelementen und Betriebszeiten, die in Minuten gemessen werden statt in Jahren, konnten in den 1960er Jahren Betriebstemperaturen weit über 2.000 Grad Celsius demonstriert werden.

Radioaktivität macht Probleme bei Tests und im Betrieb

Dabei ging ein Teil der Masse der Brennelemente durch die Düse des Triebwerks verloren. Der Anteil war klein genug, um kein Problem für den Betrieb darzustellen, aber groß genug, um den Betrieb in der freien Umwelt zu untersagen, der in den 1960er Jahren noch erlaubt war. Für weitere Tests mussten Filtersysteme entwickelt und gebaut werden, was die Größe der Triebwerke limitierte und höhere Kosten verursachte, die auch bei weiterer Entwicklung heute zu zahlen wären. Im Weltall wären die verlorenen Partikel hingegen kein größeres Problem.

Allerdings führt ein Raumschiff mit nuklearem Triebwerk nach dem ersten Einsatz des Triebwerks einen radioaktiv stark strahlenden Reaktorkern mit sich. Das Strahlungsschild, das Teil des Triebwerks ist, schützt aus Gewichtsgründen nur den Rest des Raumschiffs und die Besatzung. Aber jede Außenmission ist potenziell gefährlich, sobald jemand im Raumanzug den geschützten Bereich verlässt, auch Andockmanöver mit anderen Raumschiffen werden schwieriger. Reparatur oder Wartung in der Nähe der Triebwerke sind von Hand zumindest für einige Wochen nach einem Triebwerkseinsatz unmöglich.

Die Entwicklung soll aber trotzdem wieder aufgenommen werden und Untersuchungen wie der Konsensreport des Space Nuclear Propulsion Technologies Committee der National Academies of Sciences, Engineering and Medicine kommen auch zu dem Schluss, dass ein Flug zum Mars entweder nukleare Raketentriebwerke oder zumindest nuklear-elektrische Antriebe erfordert. Denn ohne sie wären die Startkosten einer Marsmission wegen der großen Treibstoffmengen viel zu teuer.

Bis vor zehn Jahren wäre diese Argumentation auch noch korrekt gewesen, vielleicht bis auf einige Anmerkungen zu optimistischen Annahmen bei der Entwicklungszeit der notwendigen Kerntechnik.

Die Startkosten von Nutzlasten mit Raketen waren über Jahrzehnte konstant und boten damit scheinbare Planungssicherheit. Wer zum Mars fliegen wollte, musste mit allen Mitteln die notwendige Startmasse reduzieren, sonst würde der Flug zu teuer. Aber das alles hat sich mit SpaceX geändert. Im Vergleich zur SLS-Trägerrakete, mit der alle Marsmissionen der Nasa geplant werden, kosten Nutzlasten über 2 Milliarden US-Dollar pro Start, während vergleichbare Mengen mit Raketen wie die Falcon Heavy von SpaceX weniger als ein Zehntel kosten.

Die gesamte Argumentation der unbedingt notwendigen Masseeinsparung durch nukleare Triebwerke bricht schon damit in sich zusammen, zumal SpaceX mit dem Starship die Startkosten abermals senken will. Ein Blick in die kostenlose Vorveröffentlichungsversion des Reports zeigt dann auch, dass er sich auf Untersuchungen der 1980er und 1990er Jahre stützt und die Hälfte der Begutachter des Reports ein so hohes Alter aufweisen, dass sie bei ihrer Begutachtung bereits pensioniert waren.

Solarpanele sind inzwischen genauso leicht wie Kernreaktoren

Ganz ähnliches gilt für die zweite Variante des nuklearen Raumschiffsantriebs in dem Report, zumindest solange das Ziel der Reise nicht viel weiter als der Mars von der Sonne entfernt ist. Bei nuklearelektrischen Antrieben soll ein Kernreaktor eine Leistung von 1 bis 2 MW Strom für den dauerhaften Betrieb von Ionentriebwerken liefern. Das ermöglicht einen schnelleren Flug zum Mars bei noch weniger Treibstoffverbrauch.

Nur mit einem Kernreaktor sei es möglich, die notwendige Leistung mit weniger als 15 kg pro kW zu erreichen. Aber auch hier fehlte den Autoren der Blick auf die aktuelle Technik. Die sechs neuen ausrollbaren Solarzellen der ISS erzeugen bei einer Masse von 325 kg jeweils 20 kW, oder 16 kg pro kW. In der Marsumlaufbahn würden sie zwar nur noch rund die Hälfte der Leistung erzeugen, dennoch gibt es gute Gründe, Photovoltaik als brauchbare Energiequelle zu betrachten.

Zum einen kann die Solartechnik bis zum Jahr 2039 noch deutlich verbessert und ihr Gewicht mehr als halbiert werden. Schon die Solarpaneele in der nächsten Generation der Eurostar Neo Satelliten sollen nur noch 11 kg pro kW wiegen, was durch Verbesserung der Solarzellen noch unter 7 kg gesenkt werden soll. Abgesehen davon würden es die niedrigeren Startkosten möglich machen, einen Verlust an Nutzlast durch den Bau eines größeren Raumschiffs auszugleichen.

Ohne Sonne bleibt Kerntechnik die einzige Wahl

Erst deutlich jenseits des Mars stimmt die Argumentation wieder. Die Helligkeit des Sonnenlichts nimmt mit dem Quadrat der Entfernung zur Sonne ab und damit auch die Leistung von Solarzellen. Bei der Erkundung des äußeren Sonnensystems sind Radioisotopenbatterien oder kleine Kernreaktoren als Energiequelle unerlässlich, wie sie derzeit etwa im Rahmen des Kilopower-Projekts entwickelt wurden.

Auf der Reise zum Mars steht im Weltraum hingegen jederzeit genug Sonnenlicht zur Verfügung. Wo nicht genug Sonnenlicht ist, fehlt auch die notwendige Wärme, was das äußere Sonnensystem für den menschlichen Aufenthalt besonders ungeeignet macht. Aber schon auf der Marsoberfläche ist die Kälte nicht mehr mit menschlichem Leben vereinbar, die Sonne steht durch die Rotation des Planeten nur die Hälfte der Zeit zur Verfügung und Staubstürme können die Energieversorgung ganz blockieren.

Ein Kernreaktor als Energiequelle würde den dauerhaften Aufenthalt auf der Oberfläche des Mars oder während der zweiwöchigen Nacht auf dem Mond stark erleichtern.

Die Nasa will für den längeren Aufenthalt auf Planetenoberflächen zunächst Reaktoren mit 10 kW Leistung haben, wie sie für das Kilopowerprojekt entwickelt wurden, statt Megawatt-Leistungen für Ionentriebwerke oder einigen Gigawatt wie bei den Nukleartriebwerken oder in Kernkraftwerken auf der Erde. Der größte Teil der Energie würde als Abwärme bei der Stromerzeugung anfallen und als dringend notwendige Heizung benutzt werden.

Die Reaktoren sind dabei so gebaut, dass sie mit Heatpipes gekühlt werden und vollständig ohne Kühlpumpen auskommen. Außerdem ist der kleine, hitzebeständige Reaktorkern so gebaut, dass er sich bei hohen Temperaturen ausdehnt und die Kettenreaktion zusammenbricht - ohne jeden Eingriff von außen oder die Bewegung von Steuerstäben.

Im Gegensatz dazu müsste die Energieversorgung auf dem Mars ohne Kernreaktor fast ausschließlich über Solarzellen geschehen, mit schweren Akkus oder ineffizienten Brennstoffzellen als Energiespeichern für die Nacht und den Fall von Staubstürmen. Zusätzlich müsste die Wärmeversorgung komplett durch die Stromerzeugung gedeckt werden, auch wenn die Abwärme der Brennstoffzellen dabei gut genutzt werden könnte. Wegen der tiefen Außentemperaturen sind Wärmepumpen auch kaum effizienter als normale Heizungen. Auf dem Mond gibt es zwar keine Staubstürme, dafür ist der Speicherbedarf für die 14-tägigen Nächte um so größer.

Kleine Reaktoren könnten auch der Weltraumforschung dienen

Anders als beim Antrieb eines Marsraumschiffs erscheint die Entwicklung von Kernreaktoren für menschliche Bewohner auf Mond und Mars technologisch angebracht. In ihrem grundlegenden Aufbau und ihrer Leistung wären sie auch einem Reaktor als Energiequelle für größere Raumsonden zur Erforschung des äußeren Sonnensystems sehr ähnlich. Bisherigen Raumsonden wie New Horizons oder den Voyager-Sonden fehlte die notwendige Leistung, um über wissenschaftliche Instrumente hinaus auch Ionentriebwerke für größere Manövrierfähigkeit betreiben zu können.

Die Entwicklung dieser kleinen Reaktoren scheint derzeit gesichert zu sein. Das Kilopower-Projekt hat deren Machbarkeit erfolgreich demonstriert und die Entwicklungskosten werden wegen der niedrigeren Betriebstemperaturen und des geschlossenen Reaktors weit unterhalb der Entwicklung von Nukleartriebwerken liegen.

Ob die Science Fiction der 1960er Jahre mitsamt der Nuklearantriebe doch noch real wird, hängt von der Finanzierung der Pläne ab. Wie schon bei der Entwicklung der Schwerlastrakete SLS, dem Orion Raumschiff und anderer Raumfahrtaufträge, dient ein großer Teil der Raumfahrtfinanzierung der Quersubventionierung von militärisch aktiven Konzernen - oft mit Geldsummen bis hin zu hohen Milliardenbeträgen. Die technologische Notwendigkeit oder Sinnhaftigkeit spielt dabei leider oft eine untergeordnete Rolle.

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